Spurensuche in der Geschichte: Der 29. Zauberhistoriker-Kongress

Am Donnerstag und Freitag trafen sich an die 30 Zauberhistoriker und historisch Interessierte in Hamburg, eingeladen und organisiert von Wittus Witt. Jörg Borrmann, Betreiber des „Wunderkontors“ am Fischmarkt, hatte dafür völlig selbstlos und kostenlos sein gemütliches Zaubertheater zur Verfügung gestellt. Eine tolle und noble Geste! Zu sehen und hören gab es ein knappes Dutzend Beiträge, ergänzt um ein Soloprogramm von Karten-Weltmeister Jan Logemann und eine Darbietung mit Zeitungspapier-Zauber von Altmeister Flip.

Wolfgang Sommer hatte gleich einen ganzen Tisch voller Zaubergimmicks aus seiner Sammlung mitgebracht und stellte viele davon kurz und launig vor, von speziellen Daumenspitzen bis zu Zigaretten-Droppern. Darunter befanden sich etliche Kuriosa, etwa doppelte Daumenspitzen für mehr Laderaum und verschiedene Taschenuhr-Attrappen. Wie Sommer erläuterte, wurden früher viele Hilfsmittel als Kunststücke verkauft; der Kunde wusste also gar nicht, was er bekam. Und so entpuppte sich mancher “Salon-Schlager“ etwa nur als schnöde Heftzwecke, wie bei Bartls “Magischem blauen Dunst“. Eingesteckt in das Ende einer Zigarette sollten sich darin heimlich die Kartenwerte eines Spieles spiegeln. Andere Hilfsmittel wurden als Ersatz für Griffe verkauft, waren aber mitunter “so kompliziert, dass man besser gleich den Griff einstudierte“, sagte Sommer schmunzelnd. Kein Wunder, dass viele dieser Hilfsmittel unbenutzt direkt in die Schublade wanderten oder als Sammelobjekt endeten!

Gerhard Max Matheis alias Doctor Marrax zeigte in voller Länge den von ihm und Rainer Schwarz erstellten Dokumentarfilm über Gilbert le Saltimbanque. Der fast 70-jährige belgische Gaukler ist ein Pionier der Straßenunterhaltung und zieht noch heute mit seinem selbst umgebauten Show- und Wohn-Lastwagen über Märkte und Feste, wo er u.a. als menschlicher Automat und Dompteur einer todesmutigen Flohdame auftritt. Der Film erzählt chronologisch Gilberts Leben, von den tristen Anfängen als 13-jähriger Ausreißer in Paris über die Eroberung des Platzes am Centre Pompidou für die Straßenkunst bis in die Gegenwart, unterbrochen durch Einblicke in das Gauklerleben und Würdigungen von Schaustellerkollegen. Auch private Szenen, Anekdoten und Tragödien werden dabei nicht ausgespart. Am Ende ist man froh zu erfahren, dass Gilbert spät im Leben sein neues Glück gefunden und in eine bekannte Hochseilartisten-Familie eingeheiratet hat. Gilbert war bei der Filmvorführung anwesend und sichtlich gerührt über den langen Applaus zu seinem bewegten Leben und künstlerischen Schaffen. Der Film könnte in absehbarer Zeit bei Arte zur Ausstrahlung kommen.

Dr. Rita Bake ist die Gründerin des “Gartens der Frauen“ auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg. In einem eigenen Abschnitt werden dort die Grabsteine bedeutender Frauen nach der Auflassung der Gräber restauriert und dauerhaft bewahrt. Texttafeln halten die Erinnerungen an die Frauen, ihr Leben und ihre Leistungen lebendig. Der Bezug zur Zauberkunst besteht darin, dass hier auch Rosa Bartl ein Erinnerungsstein gewidmet ist. Es handelt sich dabei um einen Zylinder aus schwarzem Basalt mit einem Metalldeckel, der beim Aufklappen den Blick auf ein weißes Kaninchen freigibt. Frau Dr. Bake referierte anschaulich in Wort und Bild über ihr Projekt, für das ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde, und sparte auch nicht an humorvollen Spitzen gegen das Patriarchat und die Mühlen der Bürokratie. Wittus Witt setzt sich übrigens seit Jahren dafür ein, dass in Hamburg eine Straße nach Rosa Bartl benannt wird, und hat dafür schon manchen Mitstreiter gewonnen. Dem Vernehmen nach ist der Antrag derzeit in wohlwollender Prüfung.

Buchautorin und Bartl-Enkelin Birgit Bartl-Engelhardt stellte unter dem Titel “Fragiler Zauber im Dritten Reich“ ihr kommendes Werk vor, das sich der Leichtmann-Tochter Charlotte Kroner und ihrer Familie widmet. Zusammen mit ihrem Mann Arthur und Tochter Meta führte diese den „Zauberkönig“ in Berlin, bis die jüdische Familie 1938 zwangsenteignet und das Geschäft der früheren Auszubildenden Regina Schmidt, einer “Arierin“, zugeschanzt wurde. Nur den weiteren Töchtern Erna und Hilde gelang noch die Flucht ins rettende Ausland. Die zauberbegeisterte Hilde trat später erfolgreich unter dem Namen “Hildeen“ in Amerika auf und war im Zweiten Weltkrieg auch in der Unterhaltung von U.S.-Truppen engagiert. Auf das Buch darf man gespannt sein, es wird sich sicher nahtlos in die akribisch recherchierten und detailreich beschriebenen Biografien der Bartls und Leichtmanns einfügen.

Flip Hallema sprach, wie immer detailliert und ein bisschen sprunghaft, über Okito und die Bamberg-Dynastie mit insgesamt sechs Generationen von Zauberern und anderen interessanten Persönlichkeiten. Der bisweilen genannte Jasper Bamberg (1710-1780) gehörte laut Flip jedoch nicht direkt zu dieser Familie. Erster Zauberer war Eliaser Bamberg, der Mann mit Geheimfach in seinem Holzbein. Dessen Vater David kam ursprünglich aus Hattersheim am Main, trug sich aber nur als Händler und Dieb in die Annalen ein. Von Theo Bamberg vermutet Flip, dass dieser sich zu seinem Bühnennamen “Okito“ durch “Okita“ inspirieren ließ, denn so nannte sich bereits Julia Ferret De Vere, die Ehefrau des Zauberhändlers Charles De Vere. Zusammen mit einem Co-Autor arbeitet Flip an einem etwa 1000-seitigen (!) Buch über die Bambergs, das gleich in mehreren Sprachen – auch auf deutsch – erscheinen soll. Auch darauf sind wir gespannt!

Zum Abschluss des ersten Kongresstages präsentierte Wittus Witt Zauberkünstler-Anzeigen aus dem Almanach Internationaler Artistik, der 1947/48 von einem Fritz A. Körke in Nürnberg herausgegeben wurde. Manch (später) bekannte Name findet sich darunter, etwa Joe Andersch, Ralf Bialla, Cartelli, 2 Dinardis, Axel Hellström und Recha. Historisch noch interessanter sind aber die vielen in Vergessenheit geratenen Namen, darunter sicher einige, die niemals bekannt waren oder wurden, aber als “weltberühmte Illusionisten“ nach dem Zweiten Weltkrieg Lohn und Brot suchten. Oder wer weiß mehr über Coc, die 2 Ottorinos oder die 3 Nagis, über Trux und Mäckie, “die Aussenseiter derTäuschungskunst“, den “weltbekannten Zauberkünstler und Illusionisten“ Alfons Menzini aus Bottrop, oder To-Rama, “der Favorit der Zauberkunst, bekannt durch Film, Funk und Presse“, zu dem bisher nicht einmal Wittus weitere Informationen finden konnte?! Die Kongresstüte enthielt dankenswerterweise einen 50-seitigen Nachdruck der Werbeanzeigen dieser mitunter kuriosen menschlichen Fußnoten der Zaubergeschichte.

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Den zweiten Kongresstag eröffnete Henning Köhlert mit einem Bildvortrag über das Zaubern auf See, genauer auf Frachtschiffen. Auch mit diesen lässt sich heute komfortabel, wenn auch nicht gerade billig die Welt erkunden. Köhlert hat seit seiner Pensionierung zahlreiche solcher Fahrten über die Weltmeere absolviert und dabei immer auch impromptu für die Crew oder die wenigen anderen Passagiere gezaubert. Während in seinen bisherigen Büchern die Reisen im Vordergrund stehen, geht es in seinem neuen Werk primär um das situative Zaubern auf See. Es soll in Kürze im sic!-Verlag erscheinen.

Hans-Werner Bäumer widmet sich seit 30 Jahren Zauberkünstlern, die in Zirkusmanegen auftraten und ist seit unglaublichen 60 Jahren in der Welt der Zirkusfreunde aktiv. Hunderte von Programmheften und Jahrzehnte der “Circus Zeitung“ und anderer Fachblätter hat er akribisch durchforstet, um immer neue Zauberer zu identifizieren, die sich den speziellen tricktechnischen und präsentatorischen Herausforderungen der Rundmanege gestellt haben. Häufige Probleme dabei: die Nennung von Künstlernamen, aber nicht der bürgerlichen Namen, und uneinheitliche Schreibweisen, etwa bei russischen Künstlern. Dennoch konnten so bisher etwa 180 Zirkus-Zauberer von Bäumer zusammengetragen werden. Wittus Witt hat diese in einer schönen Broschüre für die Kongressteilnehmer aufbereitet.

Holger Steigerwald schloss eine weitere biografische Lücke und stellte Leben, Tourdaten und Kunststücke von Muhamed Ismael (auch Mohamed Ismail) vor, der wohl 1832/33 in Teheran geboren wurde und später über Russland nach Europa kam. Gastspiele des angekündigten „Hofzauberers des Schahs von Persien“ in Europa sind bisher von 1862 bis Juni 1866 nachgewiesen, danach soll er den Orient bereist haben. 1871 starb er plötzlich in Russland an der Cholera, worauf sein Schwager und Gehilfe Robert Lenz sofort die Schau übernahm und weiter durch Russland reiste, wie Steigerwald berichtete. Neben üblichen Experimenten mit Apparaten zeigte Ismael in lustigem Kauderwelsch-Deutsch etwa “Die schnelle unerklärliche Verwandlung eines Herrn in eine Dame“, eine Enthauptungsillusion, “Der Mann als Henne“ und eine Version des Sand-Tricks – angeblich ein Original seines Vaters -, bei der mehrfach gefärbte, trockene Asche aus einem angerührten Aschebrei hervorgebracht wurde. Wittus Witt konnte aus seiner großen Sammlung ein eindrucksvolles Ismail-Plakat von 1870 zum Vortrag beisteuern.

Dr. Alex Romanoff ist ein junger promovierter Kunsthistoriker, Zauberkünstler und erfolgreicher YouTuber (Kanal: Art of Impossible) der sich in seinen meist zehnminütigen Videos bedeutenden Personen und Themen der Zauberhistorie widmet. In seinem Vortrag gab er interessante Einblicke in seine Arbeitsweise und den großen Aufwand von bis zu 40 Stunden für ein flott geschnittenes und gut bebildertes Video. Außerdem erläuterte er, warum er es für spannend und wichtig hält, aus der Zaubergeschichte zu berichten und zu lernen. Als Gründe führte Romanoff etwa das Gemeinschaftsgefühl unter Zauberern, Respekt vor der Magie als Kunstform und die bewusste Verantwortung an, dass man bei jeder Vorführung in einer großen Tradition stehe, was sicher auch „ein bisschen Druck“ bedeute.

Mit einem Empfang in der Galerie-W klang das 29. Zauberhistoriker-Treffen aus, wo Wittus Witt seine neue Ausstellung “Hamburg mein Zauber“ präsentierte, die seine jüngste Buchveröffentlichung über die Zauberstadt Hamburg begleitet. Ähnliche Bände über München und Berlin sind übrigens schon in Vorbereitung.

Ich selbst hatte am ersten Tag einen Teil meiner Analyse zum ikonischen Gemälde “Der Gaukler“ von Hieronymus Bosch zum Programm beisteuern dürfen, in der ich u.a. die strenge geometrische Komposition des Bildes untersuchte und gestalterische Indizien für die These identifizierte, dass Gaukler und Dieb nicht nur Komplizen, sondern womöglich sogar Brüder sind.

Das ursprünglich schon für 2020 in Frankfurt geplante und wegen Corona mehrfach verschobene und letztlich abgesagte Historiker-Treffen soll nun 2022 an der Reihe sein, organisiert wiederum von Andreas Fleckenstein. Wir freuen uns schon auf ein Wiedersehen am Main, verbunden mit einem großen Dankeschön an Wittus Witt für die spontane Kongress-Organisation in Hamburg, die mehr als nur ein Ersatz war, und für seine Gastfreundschaft!

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