Kampfkunst und Zauberkunst

Neulich erreichte mich eine interessante Anfrage eines Zauberfreundes zum oben genannten Thema. Gibt es mögliche Gemeinsamkeiten und Verbindungen zwischen diesen Kunstformen? Offensichtlich ja, wie bereits dieses Bild von Ryan Hayashi beispielhaft andeutet:

Hayashi Schwert2
Ein älterer Website-Snapshot von Ryan Hayashi

Nach einigem Nachdenken sind mir die folgenden Punkte eingefallen, die wohl für beide Disziplinen gleichermaßen gelten:

  1. Sie können auf ein sehr lange Geschichte und Tradition zurückblicken.
  2. Es gibt viele verschiedene Disziplinen bzw. Spielarten, denen aber ein überschaubares Set an Grundtechniken und -regeln zugrunde liegt.
  3. Man lernt am besten über einen erfahrenen Meister.
  4. Das Lernen und Wachsen in der Kunst ist langwierig und mitunter schmerzvoll.
  5. Es gibt einen Ehrenkodex und eine strenge Hierarchie (formell oder informell).
  6. Es gibt mehr Techniken, als man je beherrschen kann; die Kunst besteht in der strategischen und situativen Auswahl und Anwendung.
  7. Eine zwingende Koordination von Geist und Körper ist erforderlich.
  8. Es ist wichtig, dem Gegner bzw. Publikum immer einen Schritt voraus sein und beim Ausführen einer Aktion gedanklich schon bei der nächsten sein.
  9. Die Täuschung ist der Kern der Zauberkunst; auch im Kampfsport werden mitunter Täuschungen angewendet (z.B. Körpertäuschungen oder das Vorspiegeln von Ermattung).
  10. Es geht um maximale Effektivität, also auch um Fokus, Bündelung der Kräfte und das Weglassen alles unnötigen Ballastes.
  11. Es geht in jedem Fall um “Beherrschung” und Kontrolle, also Herr der Lage zu sein und sich erfolgreich gegen Widerstände durchzusetzen (magisch wie sportlich).
  12. Aus meinem Interessensgebiet “Zauberer und Täuschungskunst im Krieg” kann man auch noch ein paar gedankliche Verbindungen herstellen. Ich denke da vor allem an das großartige Buch The Secret Art of Magic von Eric Evans und Nowlin Craver, das die Prinzipien alter chinesischer Kriegskunst auf die Zauberkunst (vor allem, aber nicht nur auf die Straßenzauberei) zu übertragen versucht. Ein Kernbegriff dabei ist self-control. Ein spannender Ansatz könnte m.E. das dort beschriebene Prinzip von Cheng und Ch’i sein – also direkte und indirekte Ansätze zum Erfolg, die aber ineinander greifen. Diese Begrifflichkeiten sind sehr vielfältig zu übersetzen bzw. zu interpretieren, hier z.B. als aktiv/passiv oder Angriffs- und Umgehungs- bzw. Überraschungsstrategien.

Als Zauberkünstler, der – beruflich wie dramaturgisch – selbst eine Brücke zur Kampfkunst schlägt, ist mir bisher nur der oben genannte Hayashi begegnet; vielleicht sollte ich ihn mal zum Thema interviewen?!

Schließlich: Auch bei Harry Potter gibt es das Thema “Zaubern zur Selbstverteidigung”!


 

 

 

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Frühe Kartenzauber-Psychologie (2)

“Forcieren der Karten”

Während die Volte nur durch stete Übung erlernt werden kann, gehört zum Forcieren einer Karte erstens, gleich wie bei der Volte, grosse Übung, dann kommt es aber auch noch auf eine undefinierbare individuelle Auffassung des Ganzen an. Es muss vom Künstler ein gewisser unbemerkbarer Zwang ausgehen, so dass eine Person gerade die vom Künstler gewünschte Karte wählt oder zieht. Hierbei muss den Künstler nun im Wesentlichsten seine eigene Beredsamkeit unterstützen, ja, er muss den oder die Zuschauer quasi fascinieren. — Für Bühnenkünstler ist dies nicht allzuschwer, da bei diesen noch zu viele Äusserlichkeiten als unterstützende Momente hinzukommen; schwerer ist es schon im Salon; am schwersten aber im guten Freundeskreise, da hier jeder conventionelle Zwang aufhört und Zwischenfragen an den Vortragenden gethan werden, denen derselbe dann natürlich kleine ausweichende Scherze entgegenhalten muss.

F.W. Conradi, Der moderne Kartenkünstler (1896), S. 9

Mehr frühe Kartenpsychologie gibt es hier!


 

Ausstellung zur “Lust der Täuschung”

Die Wahrheit ist nicht irgendwo da draußen, sondern stets nur in unserem Gehirn. Wir glauben, was wir sehen; aber wir sehen auch, was wir zu sehen glauben. Viele Täuschungen beruhen auf den Grenzen unserer Wahrnehmung, weil diese entweder fehlerhaft, selektiv oder schlichtweg bequem ist.

Nicht nur die Zauberkunst macht sich diese Schwächen zu Nutzen, sondern auch die bildende Kunst. Man denke etwa an optische Täuschungen, zum Beispiel vermeintliche Tiefenwirkungen auf zweidimensionaler Fläche oder sogenannte “Trompe l’Oeils” (wörtlich: Augentäuschungen) – das sind täuschend echt gemalte Bilder, die eine nicht existente Realität vorgaukeln. Bei der unten stehenden letzten Abbildung etwa ist alles nur gemalt – die Holztür, die Weintrauben, ja selbst die Schnur und der Nagel!

“Lust der Täuschung” nennt sich sehr passend eine große Ausstellung, die nach München nun bis zum 30. Juni in Aachen im Ludwig Forum zu sehen ist. Sie schlägt gekonnt den Bogen von antiker Kunst bis zu heutigen Virtual-Reality-Darstellungen. Georges Méliès ist hier übrigens auch mit Werken vertreten.

Ich habe die Ausstellung in München gesehen und kann einen Besuch nur wärmstens empfehlen! Interessant ist auch der umfangreiche Katalog, der im Hirmer Verlag erschienen ist.

LdTKat


 

Gut gesagt (13): Luis de Matos…

…über Geheimnisse:

Ich glaube, das Geheimnis ist das größte Hindernis in der Zauberkunst. Nur weil wir ein ganz klein wenig mehr Information als unsere Zuschauer haben und wir uns damit über sie stellen, ist das, so glaube ich, nicht fair. Wir lieben doch große Dichter, Maler und Musiker und wir wissen ganz genau, wie sie ihre Werke produzieren, aber dennoch, auch wenn wir diese Geheimnisse kennen, wären wir doch nicht im Stande, es ihnen gleich zu tun.

zitiert aus der aktuellen Magischen Welt 2/2019

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